Traumjob Journalist? Warum der Beruf so wichtig ist
- Marc

- 14. Jan. 2024
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 18. Juli 2024
Der erste Beitrag auf diesem Blog ist ein Grundsatzartikel. Er geht der Frage nach, welche Rolle der Journalismus in unserer Gesellschaft spielt, was die Aufgaben eines Journalisten sind, woran man gute (und schlechte) Journalisten erkennt - und ob es heute noch lohnt, einer zu werden.
Ein Journalist schreibt über Journalismus. Nicht besonders originell, könnte man meinen. Aber irgendwo muss man anfangen, nicht wahr? Den Blog mit einem solchen Beitrag zu eröffnen, gibt mir die Gelegenheit, mein Berufsverständnis zu sondieren, den Begriff des Journalismus zu definieren, Ihnen als Leser Basiswissen an die Hand zu geben und - nach nunmehr einem Jahrzehnt in ganz unterschiedlichen Gefilden der Medienlandschaft - auch kritische Töne anzuschlagen.
Das Thema ist für mich (und möglicherweise auch für Sie) vor allem aus zwei Gründen interessant: Erstens erlaubt es mir, einige wenige Worte zu meiner Biographie zu sagen, Ihnen also einen Einblick in meinen beruflichen Werdegang zu ermöglichen. Für unser Kennenlernen vielleicht nicht ganz verkehrt. Zweitens gibt es Ihnen Hinweise auf die grundsätzliche Ausrichtung dieses Blogs, auf das Selbstverständnis des Autors und die Perspektive, die auf das Schwerpunktthema "Medienkritik" eingenommen wird. Soweit so klar?
Was soll der Journalismus?
Die Medien gelten gemeinhin als "Vierte Säule der Demokratie" oder "Vierte Gewalt" im Staate. Neben der Exekutive, der Legislative und der Judikative übernehmen Medien wie Radio- und Fernsehsender, Zeitungen und Internet-Angebote nach verbreiteter Auffassung also eine zentrale Aufgabe in Gesellschaften, in denen die politische Macht (mehr oder weniger) von den Entscheidungen des wahlberechtigten Volkes, also des "Souveräns", abhängt. Die Demokratie lebt also von der Meinungs- und Pressefreiheit. Ohne freien Fluss von Information ist die bürgerliche Ordnung insgesamt undenkbar. Damit kommt dem Journalismus eine ungeheuer wichtige Aufgabe zu.
Man kann sagen: Je besser eine Öffentlichkeit informiert ist, je offener und ehrlicher die Debattenkultur, je größer die Transparenz und Objektivität der medialen Berichterstattung, umso besser für die Demokratie. Und es ist viel Wahres daran. Die Macht der Medien im Kontext politischer Herrschaft ist nicht zu unterschätzen. Medien machen Könige, und stürzen sie wieder. Medien erschaffen Bedeutung , produzieren "Hype", prägen Narrative. Und mit großer Macht kommt - Sie wissen es ja - große Verantwortung.
Die Freiheit der Presse
Schon an dieser Stelle muss man allerdings kritisch einhaken. Anzunehmen, dass alle Medien (und damit alle Journalisten) einzig und allein dem Reinheitsgebot objektiver Berichterstattung im Sinne einwandfreier und reibungsloser demokratischer Willensbildung verpflichtet sind (oder sich diesem auch nur verpflichtet fühlen), führt natürlich auf Irrwege. Schön wär's zwar. Tatsächlich steht diesem hehren Ideal eine ganze Kaskade von Hindernissen entgegen.
Da wäre zuallererst der Faktor Mensch. Da Journalisten auch "nur" Menschen sind, tut man ihnen kein Unrecht, wenn man ihnen einen grundsätzlichen Hang zur Subjektivität unterstellt. Es gibt keinen "objektiven" Journalisten auf der Welt - und deshalb auch keinen "objektiven" Journalismus. Was es gibt: Journalisten, die sich ehrenwerter Weise nach Kräften um Ehrlichkeit und Transparenz bemühen - und solche, die Nachricht und Kommentar auch dann nicht auseinanderhalten können, wenn man ihnen eine Pistole an die Schläfe hält. Punkt eins.
Punkt zwei: Die grundsätzlich garantierte Pressefreiheit, wie sie in unserer Verfassung verbrieft ist, bedeutet noch lange nicht, dass wir auch eine "freie Presse" haben. Was meine ich damit? Grundsätzlich darf es eine freie Presse geben. Sie ist also heute formal erlaubt - ganz im Gegensatz zu früheren, dunkleren Zeiten. De facto existiert eine solche aber kaum, denn fast alle Presseorgane, Medienhäuser, Zeitungen und Verlage sind (mit Ausnahme von einzelnen wirklich unabhängigen und tatsächlich freien Journalisten) dem Zwang der Ökonomie unterworfen. (Und nicht selten auch den privaten Vorstellungen ihrer Besitzer und Anteilseigner, was man dem Leser aber nicht unbedingt auf die Nase binden muss...)
Wer die Kapelle bezahlt
Soll heißen: Nicht immer steht die "objektive Wahrheit" im Zentrum der Berichterstattung, sondern der Wunsch nach Auflage, Abonnenten, Zuschauern, Klicks - also Einfluss. Es liegt in der Natur der Sache: Wer mit "News" sein Geld verdient, will diese auch möglichst erfolgreich an den Mann oder die Frau bringen, und damit möglichst viel Macht auf die öffentliche Meinung ausüben. Deshalb gibt es "Clickbait"-Überschriften, deshalb feiern Polemik und Populismus feierliche Urstände. Die "Wahrheit" zu berichten, ist also keineswegs das vorrangige Ziel des Journalismus unserer Zeit. Zumindest über die kommerziell ausgerichteten Medienunternehmen darf das uneingeschränkt behauptet werden.
Das soll natürlich nicht heißen, dass überall nur noch gelogen wird. Was es aber heißt: Die ökonomischen Spielregeln des Journalismus diktieren, dass Skandale, Empörungswellen und "Shitstorms" im Sinne der neuen "Aufmerksamkeitsökonomie" deutlich lukrativer sind, als sachliche und "objektive" Berichterstattung. Idealerweise vermittelt guter Journalismus also Fakten und Tatsachen, hält sich an die Wahrheit, dient der ehrlichen Aufklärung, trennt Fakten und Meinungen, ohne dabei gleichzeitig auf effektive Stilmittel zur Leserbindung zu verzichten. Ein schmaler Grat, wie Sie sich denken können. Die neue Währung heißt Aufmerksamkeit. Ihr ordnet man vieles unter.
Als dritten und letzten Einwand gegen die Idealvorstellung vom "objektiven" Journalismus will ich, muss ich, den Einfluss - den vielleicht gar nicht zu verhindernden Einfluss - bestimmter Interessengruppen auf die "Vierte Gewalt" nennen. Bei privat geführten Medien sind die steuernden Einflüsse im Hintergrund nicht immer ganz einfach zu erkennen. Wenn ein Medium wie Der Spiegel Millionensummen von der Bill & Melinda Gates Stiftung erhält - wie man auf der eigenen Webseite ganz offen zugibt - kann man das befremdlich finden. Das Hamburger Magazin wehrt sich allerdings mit Händen und Füßen gegen den Vorwurf, die Zuschüsse des Microsoft-Milliardärs würden die journalistische Objektivität in Frage stellen. Soll man ihnen glauben? Ähnlich gelagerte Fälle gibt es viele.
Die Illusion der Objektivität
Deutlich leichter erkennbar für Leser und Zuschauer ist das Dilemma der Objektivität bei staatlichen Medien. Der öffentlich-rechtliche Medienapparat in Deutschland - mittlerweile satte 10 Milliarden pro Jahr verschlingend - stellt sich selbst als objektiv, ja geradezu unbestechlich dar. Vorwürfe, man berichte im Sinne der Regierung, agitiere zielgerichtet gegen die politische Opposition und nehme in zentralen gesellschaftlichen Streitfragen immer wieder erkennbar linkslastige "Haltung" ein, werden vehement zurückgewiesen - Was allerdings nicht hilft, da der Einfluss der Regierungsparteien (auch durch die Besetzung der Rundfunkgremien mit Parteifreunden) nicht zu leugnen ist. Hier steht der objektiven Berichterstattung als das kalte Kalkül der Macht entgegen. Für die demokratische Willensbildung ist das eine ernüchternde Erkenntnis.
Was lernen wir daraus für den Journalismus als solchen und für die Aufgabe des Journalismus in der demokratischen Gesellschaft? Zumindest dies: Er hat es nicht leicht. Unglaublich wichtig ist die Rolle der Medien zweifellos. Große Macht kommt ihnen zu. Die Verantwortung, die damit einhergeht, wiegt schwer. Ihr gerecht zu werden, ist eine Aufgabe, an der viele scheitern. Mancher Journalist versucht es erst gar nicht. Ahnt man jetzt vielleicht, wie gefährlich charakterlich flexible Persönlichkeiten vor TV-Kameras und hinter Redaktionsschreibtischen sein können? Und versteht man jetzt besser, welche Fallstricke und Abgründe sich im Journalismus unserer Zeit auftun?
Was ist ein Journalist?
Nachdem wir nun einiges über den Journalismus als gesellschaftliches Spielfeld und über die Bedeutung der Medien insgesamt gesagt haben, wollen wir unseren Blick noch einmal auf die Protagonisten der Medienlandschaft selbst richten. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: "Ein Journalist ist jemand, der willens ist, sich mit der Wahrheit zu enttäuschen." Ein anderer, der berühmte deutsche Journalist Hanns Joachim Friedrichs, brachte Mitte der 90er Jahre den Beruf des Journalisten auf die Formel: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Diese Zitate haben mich beeindruckt, als ich sie vor vielen Jahren zum ersten Mal las. Und sie haben mein Verständnis davon, welche Ideale - ehrenwerte Ideale! - ein echter Journalismus im Herzen zu tragen hat, stark geprägt. Wenn man so darüber nachdenkt, dann steckt in diesen Sätzen alles, was man über einen guten Journalisten wissen muss: er soll aufrichtig nach der Wahrheit suchen - auch wenn manche Relativisten die Existenz der Wahrheit heute rundheraus abstreiten.
Auch muss muss der Journalist auf seiner Suche nach der Wahrheit persönliche Meinungen und Neigungen außen vor lassen und nach Objektivität streben - auch wenn dies heute von vielen Journalisten ganz anders gesehen wird (oder aus ökonomischen Motiven anders gesehen werden "muss"). Vielleicht am wichtigsten: er muss sich auf Enttäuschungen gefasst machen und stark genug sein, solche zu verkraften, statt sich an der "Wahrheit" festzuklammern, die ihm am besten gefällt.
Meine persönliche Entscheidung, Journalist zu werden, habe ich vor allem aus dem Glauben heraus getroffen, dass gute Journalisten in einer immer komplexer werdenden Welt eine besonders wichtige Aufgabe haben. Sie tun das, was der normale Mensch nicht leisten kann, allzu oft auch nicht leisten will: sie informieren sich pausenlos, halten Schritt mit dem Weltgeschehen, stellen die entscheidenden Fragen, blicken hinter die Kulissen. Durch ihre Veröffentlichungen erhalten Leser (im Idealfall) die Möglichkeit, mehr zu sehen, mehr zu verstehen, bessere Entscheidungen zu treffen und informierter durchs Leben zu spazieren.
Je besser der Journalist, umso klüger seine Leser. Daraus ergibt sich auch der Anspruch an den Journalisten, verständlich, klar, präzise und vor allem ehrlich zu kommunizieren. Der Journalist stellt das Wissen zur Verfügung, welches der interessierte Mensch braucht, um sich in dieser Welt zurechtzufinden. Er ist also ein Dienstleister. Sein Publikum verlässt sich auf seine Gewissenhaftigkeit und schenkt ihm dafür Vertrauen. Ehrlichkeit und Vertrauen - beides kostbare Güter, die heute knapp und wertvoll geworden sind.
Unbequem aber glücklich
Die Erwartungen an Journalisten sind hoch, zu recht. Enorm ist deshalb auch der Druck, der auf Journalisten lastet. Manche Nächte sind lang. Manche Tage hart und trist. Was es für Körper, Geist und Seele bedeutet, ständig alle Übel der Welt auf dem Schreibtisch ausgebreitet zu sehen, davon macht sich mancher Leser nur bedingt eine Vorstellung. Die Freude am Recherchieren und kreativen Schreiben, die Faszination an der detektivischen Arbeit des Journalisten und Reporters, habe ich dennoch nie verloren. Viele meiner Kollegen können dasselbe sagen.
Zugegeben: Als freier Journalist bin ich in einer besonders privilegierten Position. Ich muss niemandem gefallen. Ich darf schreiben, was ich für wahr und richtig halte. Kein Chefredakteur, der mit in den Nacken atmet. Keine Institution, kein Geldgeber, kein ökonomischer Druck, der mich dazu verleiten könnte, Kompromisse zwischen "Objektivität" und "Auflage" zu machen. Damit reich zu werden, habe ich mir nie ausgerechnet. Und darum geht es auch nicht. Worum es geht: Eine Stimme zu sein, auf die Verlass ist.
Worum es außerdem geht: Die eigenen Grenzen erkennen, ständig dazulernen und immer auch bereit bleiben, sich zu korrigieren. Und doch kann ich eine Sache nicht ganz verleugnen: Ein guter Journalist sein, das bedeutet für mich vor allem: Unbequem sein, unbequeme Wahrheiten aussprechen und sich unbeliebt machen bei jenen, die mit der Wahrheit nicht behelligt werden wollen. Aus diesem Grund sind für mich persönlich Figuren wie Julian Assange, Edward Snowden, Peter Scholl-Latour oder John Pilger immer große Vorbilder gewesen - und bis heute geblieben. In George Orwells Roman "1984" heißt es: "Freiheit bedeutet das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen." Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

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